07.05.2005

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Mortality hurts II

Der Satz "Denk nicht so viel nach" hat in der Tat etwas Wahres an sich, jedoch auch etwas Paradoxes. Wer kann schon seine Gedanken abstellen? Jeder, der es einmal versucht hat, wird feststellen, dass das gar nicht so einfach ist. Vor einigen Tagen hatte ich das Gefühl, ich müsse jetzt mit dem Denken aufhören. Natürlich scheiterte auch ich zu Beginn kläglich, gehöre ich doch zu der Spezies bei der das Denken stark ausgeprägt ist. Doch muss ich zugeben, dass ich einen Weg fand, wie ich das Problem in den Griff bekommen konnte. Natürlich stellt sich die Frage, warum man mit dem Denken aufhören will. Nun, dafür gibt es verschiedene Gründe. Meine sind u. a. die, dass ich zuviel, zu abstrakt, zu extrem und zu dunkel denke. Klar denke auch ich über Kleinkram nach, über Dinge, die mich gerade beschäftigen und vieles mehr. Doch das ist "Standarddenken". Denken ist erst dann fatal, wenn man sich mit seinen tiefsten Abgründen auseinander setzt. Hut ab, wer da hart bleibt und sich nicht lieber für den Strick entscheidet.

Die Frage ist doch: Wer sind wir, was tun wir hier und warum? Wodurch wird unsere Denkrichtung geprägt? Die einen denken in einfachen Zügen, überdenken nur das Nötigste und sind vermutlich einfach glücklich mit dem was sie tun. Die anderen - dazu gehöre eher ich - denken so abstrakt, dass sie bald selbst ihre Gedanken nicht mehr in Worte fassen können und letztendlich auch ihre eigene Person nicht mehr erklären können. Erst kürzlich beschäftigte ich mich ansatzweise mit dieser Thematik, doch sie ließ mich nicht los. Aufgrund der Tatsache, dass ich in letzter Zeit viel Zeit hatte, bedeutete das auch automatisch, dass ich mehr Denken würde. Wenn ich intensiv denke, kommt dabei nur Morbides raus. Dies ist nicht wirklich förderlich, da es sich auf die allgemeine Verfassung niederschlagen kann. Es gibt in der Tat auch Lieder, die das Gleiche hervorrufen. So kenne ich einige - sogar ganze Alben - die ich mir nicht anhören darf, weil ich dafür einen hohen Preis zahlen würde. Es ist wie das Spiel mit dem Feuer. Es sind ausnahmslos Stücke mit Tiefe, die unter die Haut gehen, erobern und platt machen. Ich weiß das. Deswegen will ich sie meiden. Doch ich gebe zu, dass ich mich innerlich nach diesem Schmerz sehne, welchen mir das Anhören dieser Lieder beschert. Und so kämpfe ich mit mir selbst: Anhören und freiwillig ins Grab legen und sterben oder doch hart bleiben?

Ich wusste, sollte ich meine frei verfügbare Zeit mit diesen Liedern verbringen, würde das den Denkprozess fördern, weil sie einfach zum Nachdenken anregen. Und das würde auch bedeuten, dass ich wieder einmal in die Untiefen meines Selbst hinabsteigen würde, um dort im Sumpf meiner Gedanken und Gefühle nach Antworten zu suchen. Will ich überhaupt alle Antworten wissen? Muss man Angst vor sich selbst haben, um sich seiner Existenz richtig bewusst zu werden?

Ich gebe zu, dass ich dieses Mal nicht bereit war, nach Antworten zu suchen. Also blieb die Musik aus. Für Stunden und Tage. Um nicht unnötig mit Gedanken konfrontiert zu werden, vermied ich außerdem jeglichen Kontakt zu Leuten. Ich rief weder jemanden an, noch traf ich jemanden oder sonst was. Ich war alleine. Ich suchte die völlige Einsamkeit und wollte von nichts und niemandem wissen. Dies ist am hilfreichsten, wenn ich meine Batterien aufladen möchte. Doch musste ich auch dafür sorgen, dass ich nicht genug Zeit für das Denken aufbringen konnte, die ich ja nun, da ich zu niemandem Kontakte gepflegt habe und auch noch Urlaub hatte, mehr als ausreichend zur Verfügung hatte. Ich entschied zu spielen. Also ging ich in den Keller und kramte mein Lieblingsspiel aus, welches weder verliehen noch verschenkt / verkauft wird, und begab mich in die Welt der Fantasie, Monster und Helden. Langsam aber sicher berieselten und belullten mich die Bilder, bis ich an nichts mehr denken konnte, selbst wenn ich es gewollt hätte. Ich tat während dieser Tage nur das Nötigste, kümmerte mich um Sohn, aß, schlief und zockte. Ich muss sagen, es hat sehr gut funktioniert. Man verliert jegliches Gefühl für Zeit um Raum und kommt sich seltsam einfach gestrickt vor. Man begreift, dass man irgendeine Existenz in diesem Universum ist, eine von so vielen, unbedeutsam und klein. Für jemanden wie mich, dessen Seele bzw. Bewusstsein am besten unsterblich sein sollte, ist das zugegeben ein harter Schlag ins Gesicht. Wenn ich könnte, wäre ich eine Mischung aus Pferd, Panther und Vogel oder alternativ körperlos. Ich wäre auf jeden Fall frei, freier als das Wort Freiheit überhaupt vermitteln kann. Und möglicherweise wäre ich ohne Gehirn und somit ohne Denkvermögen. Oder ich hätte zumindest eine Ausschaltknopf, den ich sicherlich oft benutzen würde. Ich würde mir keine Gedanken machen, warum ich bei manchen Musikstücken einfach so heulen könnte, ich würde mich nicht mit existenziellen Fragen beschäftigen, ich würde mich nicht fragen, warum ich so bin, wie ich bin und ich würde mich auch nicht fragen, ob mich jemand, der mit diesem Gedankengut konfrontiert wird, sofort in die Klapse verfrachten würde. Ich hätte meinen inneren Frieden gefunden, die Dämonen und die Biester, die irgendwo tief in meinem Innersten hausen wären Geschichte und ich wäre sorglos glücklich.

Ich schaffte über 70 Level in 7 Tagen. Ich schlug mich mit Untoten rum, ich bekämpfte den größten Abschaum Erathias, ich erschlug die mächtigsten Drachen, ich ging Allianzen ein, ich wurde vom Nekromanten zum Lich und somit ein wahrer Großmeister der Schattenmagie und nun, da ich mich dem Ende meines Abenteuers nähere, hat mich die Lust verlassen. Ich kenne das Ende, schließlich habe ich das Spiel bereits viele Male gespielt. Und dennoch muss ich es mindestens einmal im Jahr aus dem Keller holen um mich wiederholt in die sagenhafte Welt der Magie und Fantasie zu begeben, wo Fliegen möglich ist, wo man sich von einem Ort an den anderen teleportieren kann, wo die Apokalypse nur einen Klick entfernt ist und wo Ruhm und Ehre groß geschrieben werden. Es ist eine raue Welt - ich oder der Feind und doch ist sie seltsamerweise schlicht und ergreifend in Ordnung. Man tötet um an Geld zu gelangen, man geht in Tavernen um Nahrung zu sich zu nehmen und man zieht in die nächste Schlacht um die Welt vom Ungeziefer und Bösen zu befreien. Man hat Aufgaben zu erledigen, die für einen bestimmt sind und welche sonst niemand erfüllen kann, man trifft die größten und mächtigsten Helden des Landes, welche nach diversen Aufträgen oder wenn man erfahren genug ist, ihre Dienste anbieten und sich mit ins Abenteuer stürzen.

Ich vermisste während dieser letzten paar Tage nichts. Ich war einfach ein Mensch, irgendwo an einem kleinen Fleck unseres Planeten und lebte so vor mich hin. Selig sind die geistig Armen. Ja, dem kann ich voll und ganz zustimmen. Je weniger man weiß, je weniger man denkt, desto einfacher gelangt man zum Bossmob, den es am Ende dieses Spiels zu besiegen gilt. Der Sieg wird unmöglich sein, der Tod holt jeden von uns, doch darum muss man sich jetzt noch nicht kümmern, am Sterbetag hat man dafür schließlich noch genug Zeit. Und bis dahin ist es am einfachsten eine Schachbrettfigur zu sein und seine Rolle zu spielen, welche auch immer das sein mag. Glücklich sind die, die dieses Schicksal einfach so akzeptieren können. Die anderen, wenigen Außenseiter werden wie ich auch weiterhin auf der Suche sein, ihre körperliche Hülle verfluchen, die sie an das irdische Dasein bindet und jeden Tag an ihre Sterblichkeit und Winzigkeit erinnert.

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