09.06.2006

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Helden wie ich

1.
Schon seit zwei oder drei Wochen ziert das Rasenmäher-Schild die rechte Wand neben meiner Haustür. Ich schaute weg, ich verband mir die Augen, ich hing das Schild jemandem anderen an die Tür, ich versuchte es zu vernichten... ich gab wirklich alles und doch war es der Nachbar unter mir, der mir mit einem freundlichen Hinweis mitteilte, dass der Rasen bald zu hoch für den Rasenmäher sein würde und ich ran müsste.

Ich bin mit Abstand die Frau mit den meisten männlichen Bekannten auf diesem Planeten. Diese zahlreichen Bekanntschaften führten auch dazu, dass ich seitdem ich in dieser Wohnung wohne, noch nie selbst den Rasen mähen musste. Drei Sommer vergingen, jedes Jahr kam ein anderer netter Herr vorbei, der diesen Rasen für mich gemäht hat. Dieses Jahr sollte alles anders werden.

Vorgestern begannen die Tage des Hasses. Ich habe zwei Stunden lang den verfluchten Rasen gemäht. Nicht ohne männliche Hilfe, da ich den Rasenmäher nicht einmal selbst anbekommen habe. Der Nachbar von schräg unten links hat mir glücklicherweise geholfen. Wirklich hilfsbereit wäre er jedoch erst dann gewesen, wenn er gleich den Rasen gemäht hätte. Hat er natürlich nicht.

Ich hasse Rasen, Rasenmäher, Gärten, Gras und alles was dazu gehört. Bei meinem nächsten Umzug werde ich darauf achten, dass zum Haus nicht mehr als 2m² Grünfläche gehören oder ich jemanden lebenslang unter Vertrag fürs Rasenmähen habe. Doch mit dem Mähen des Rasens war es nicht getan. Der Rasen musste auch zusammen gerecht werden. Ich hab nicht mal einen Rechen. Gut, dass der Nachbar unter mir einen hat und so freundlich war ihn mir auszuleihen. Und sich dann wieder dünn zu machen.

Ich werde einfach in ein freundlicheres Bundesland umziehen. In eins, wo die Gentlemen noch nicht ausgestorben sind. Ich habe nie behauptet, dass ich überall gleichberechtigt und emanzipiert sein will. Beim Rasenmähen will ich es definitiv nicht. Ein Fünftel hab ich zusammen gerecht. Dann hatte ich die Schnauze voll und wollte entweder das ganze Viertel vernichten oder den Rechen kurz und klein hacken.


2.

Am nächsten Morgen fühle ich mich wie ein Halbinvalide. Ich brauche einen Kran der mich aus dem Bett hebt. Ich beschließe den ganzen Tag sitzend oder liegend zu verbringen und sonst nichts zu machen. Leider hab ich nicht mit Papa gerechnet, der spontanerweise zu Besuch kam. Er kommt nie zu Besuch. Er nötigt mich, mein Radlager zu reparieren. Ich wusste nicht einmal, dass ich noch eins habe. Denn da, wo normalerweise vorne links ein Radlager ist, habe ich eine enorme Geräuschquelle. Bei jeder Fahrt erkenne ich neue Baustellenfahrzeuge, die aus dieser Ecke brummen. Kaputte Radlager sind lecker. Und eine Herausforderung. Wenn man nur lange genug mit der Reparatur wartet, hört man sich nämlich selbst nicht mehr reden. Ich höre mich schon lange nicht mehr. Ich muss sogar das Radio auf Lautstärke 40 stellen (von insgesamt 67) um das Brummen halbwegs zu übertönen.

Ich bin doch nicht so faul, wie ich dachte. Brav kaufe ich das Radlager für nur 50 € ein. Cool, dass sie das auf Vorrat hatten. Dann besuche ich den Kfz-Mechaniker meines Vertrauens und will einen Termin mit ihm ausmachen. Oh, er hat glücklicherweise eh gerade Zeit. Ich erkläre ihm, dass er bitte das linke Radlager austauschen soll. Abgemacht. In drei Stunden darf ich das Auto wieder abholen. Wie schlägt man drei Stunden mit Kind tot, wenn man weder in einer Großstadt wohnt, noch zentrumsnah ist und erst recht keine Uhr dabei hat? Genau. Man läuft zu Fuß zum Zentrum. Und trinkt einen Saft eine Stunde lang. Dann besucht man noch den Frisör, weil Kind wie ein Terrorist aussieht. Dann fährt man zwei Haltestellen und läuft nochmal eine Ewigkeit an der B10 entlang zum Mäc. Dann läuft man vom Mäc wieder an der B10 eine halbe Stunde zur Werkstatt. Zwischendrin fragt man zehn Leute nach der Uhrzeit. Kind meckert, nörgelt, nervt, hat keinen Bock mehr zu laufen, hat Durst, Hunger, muss aufs Klo, ist müde und vieles mehr. Wir sind doch bald zu Hause, sage ich frohen Mutes. Wir holen jetzt eben nur noch das Auto und fahren dann...

Als ich die Werkstatt betrete, habe ich was zu sehen. Auto auf der Hebebühne. Ohne Vorderrad. Ohne beide Vorderräder. Ich erfahre, dass das rechte Radlager nicht weniger im Sack ist als das linke. Komisch. Das habe ich gar nicht rausgehört. Hat das linke etwa so laut gebrummt, dass ich das Brummen des rechten nicht mehr hören konnte? Was bedeutet das jetzt eigentlich? Wir haben 19 Uhr, mein Auto schwebt ohne Vorderräder in der Luft, der Kfz-Typ hat schon Feierabend und ich will heim.

Gegen einen kleinen Spaziergang zum Zentrum habe ich natürlich nichts einzuwenden. Drei Stunden Rumlaufen waren eh zu wenig. Eine weitere halbe Stunde wird mich nicht umbringen. Oder etwa doch? Cool, dass um halb acht nur noch stündlich Busse fahren. Ich hätte eh nichts anderes vor gehabt. Um halb neun bin ich endlich daheim. Meine Hasslaune hat den einsamen Höhepunkt erreicht. Ich bin jetzt bereit zum Morden.

Ich rufe den Kfz-Typ an, weil ich jetzt auch wieder ein Telefon/Handy zur Hand habe und will wissen, was da los ist. Bla. Rechtes Radlager ist genauso eine Zumutung wie das linke. Ich kann damit nicht mehr fahren. (Der hat doch gar keine Ahnung _wie_ ich fahren kann) Ach und übrigens: Die Bremsen sind abgelutscht. Als ich auflege, bin ich in Gedanken bei der Sparkasse, hecke einen Plan für einen nächtlichen Überfall aus und denke über die Konsequenzen nach. Mein Kind wird in ein Heim kommen, soviel ist klar. Kinder werden nicht mit ihren Müttern einlocht.

Papa könnte mich jetzt vielleicht retten. Ich bin erst 30 und da ist es durchaus normal, dass man finanzielle Unterstützung von seinen Eltern erhält. Doof, dass Papa übermorgen in den Urlaub fährt und dafür selbst Asche braucht. Man kann sich eben auf niemanden verlassen und ist sich selbst der Nächste. Na warte, das war der letzte Kaffee, den du bei mir getrunken hast.


3.
Heute morgen rufe ich den Kfz-Typen ein weiteres Mal an. Ich will ihm sagen, dass er nur das linke Radlager wie geplant austauschen soll, weil ich für den Rest keine Kohle habe. Oh. Er hat schon ein weiteres Radlager besorgt und bereits eingebaut. Die Bremsen hat er so belassen wie sie waren. Ich überlege, ob er vertragswidrig gehandelt hat. Für das rechte Radlager hatte er keinen Auftrag. Aber bezahlen muss ich es trotzdem, wenn ich es behalte. Immerhin hat er das Radlager billiger bekommen als ich. Daher wird er es mir auch billiger berechnen. Er will jetzt für die Reparatur beider Radlager und für das Ersatzteil nur 130 €. Noch mal Glück gehabt. Gerade diese 130 € hatte ich über und wusste nicht, was ich damit machen soll, nachdem ich mir einen Wohnzimmerschrank gekauft, einen neuen Teppich verlegt, meinen eigenen Chef-Rasenmäher besorgt und mir ein komplettes Sortiment an Rechen zugelegt habe. Ich freue mich, dass ich mein Geld sinnvoll einsetzen kann. Auf Nahrung wird eh zuviel Wert gelegt.

Gut war auch, dass ich wieder zusehen musste, wie ich zur Werkstatt komme. Ach was, denke ich noch, morgens fahren häufiger Busse. Ja. Aber nur an Schultagen. Sind jetzt eigentlich gerade irgendwelche Ferien oder warum kam der Bus um 10.50 Uhr nicht? Um 12 macht der Kindergarten zu. Das packst du locker. 5km sind es bis zur Werkstatt. Ob ich wohl per Anhalter fahren soll? Mit 13 hatte ich den Mut dazu. Heute denke ich an Verbrecher, die mich in irgendeinen Wald verschleppen und ermorden könnten. Also laufe ich zu Fuß. Ich bewege mich eh viel zu selten.

Man schafft 5 km in nur 50 Minuten, wenn man schnell läuft und auf Schweiß steht. So ein Spaziergang an der B10 hat außerdem was. Ich ziehe mein Kwickhemd an und nutze die Gunst der Stunde für ein wenig Werbung. Um viertel vor 12 stehe ich in der Werkstatt. Am linken Zeh bildet sich eine Blase. Morgen werde ich spezielle Schuhe für lange Strecken kaufen. Ich habe beschlossen jeden Tag 5 - 10 km zu laufen. An der B10. Gerade jetzt, wo ich jeden Stock und jeden Stein dort kenne, sollte ich diese zarten Verbindungen nicht unterbrechen. Voller Freude lege ich die 130 € auf den Tisch. Der Kfz-Typ schwafelt noch was von den Bremsen. Ich habe keine Zeit für Bremsen. Und auch keine Zeit für eine kleine Testfahrt um den Block. Wer seit über 2 Jahren mit kaputten Radlagern fährt (erst das rechte, dann das linke und dann beide) merkt sofort, wenn das Auto die gewohnten Geräusche nicht mehr macht.

Wenigstens ist es im Auto nicht warm, weil es in der Halle stand. Ich stelle den KM-Zähler auf 0, da ich es genau wissen will. Dann fahre ich los. Einige Meter später bleibe ich stehen, weil ich mir nicht sicher bin, ob ich wirklich gefahren bin. Angst und Panik! Ich höre mein Auto nicht mehr! Sicherheitshalber mache ich das Radio aus und schließe die Fenster, als ich wieder los fahre und meine Ohren spitze. Stille. Nichts als Stille. Ich denke an den Tag als ich mein Auto gekauft habe. So muss das Fahrgefühl gewesen sein - damals, als alles noch funktionierte. Die Erkenntnis schlägt ein wie eine Bombe. Mein Auto ist leise! Und ich bin arm! Aber verdammt, ich glaube, das war es wert.

PS: Es sind nur 4,8 km.

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